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06/23

DAOs: Die Zukunft der Wirtschaft ist dezentral und autonom

Dezentrale Autonome Organisationen werden immer beliebter, haben aber rechtliche Hürden zu überwinden.

Als sich die Kryptowährung DASH im Jahr 2014 als „Dezentralisierte Autonome Organisation” (DAO) bezeichnete, war der Begriff für viele neu. Den Durchbruch schaffte dieser ein Jahr später: Mit „The DAO” entwickelten Christoph und Simon Jentzsch die erste DAO auf dem Ethereum-Netzwerk. Ziel des Konzepts war eine digitale Organisationsarchitektur zu erschaffen, in der Menschen und Organisationen ohne eine hierarchisch starre Entscheidungsstruktur demokratischer und dezentral zusammenarbeiten können. Dieser Anspruch stellt eine Intention dar, die heute noch viele DAOs prägt.

Was ist eine DAO? 

„Bei einer DAO (Decentralized Autonomous Organization) handelt es sich um eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Zielen, die sich unter einer Smart Contract Blockchain-Infrastruktur zur Durchsetzung gemeinsamer Regeln zusammenschließen.” So fasst das im März erschienene Whitepaper der Working Group DAO des Bundesblocks den „kleinsten, gemeinsamen Nenner“ der mittlerweile über 11.000 Organisationen zusammen, die der DAO-Analytics Service „DeepDAO“ listet.

Das Etablieren eines einheitlichen Grundverständnisses von DAOs ist einer der Schwerpunkte der AG, die sich seit Mitte 2022 auf Bundesebene mit dem Thema DAO beschäftigt. „Aktuell gibt es viele unterschiedliche Ansichten über DAOs, und häufig wird der Name DAO verwendet, obwohl es keine eigentliche DAO im technischen Sinne ist“, erklärt Dr. Robert Müller von der AG DAO.

Grob gesagt, handelt es sich bei der DAO um eine Organisationsform, die die Vorteile von dezentralen Systemen nicht nur für die technologische Ebene, sondern auch für die organisatorische Ebene nutzt. Somit können DAOs auch als digitale Version des Genossenschaftsmodells verstanden werden: Idealerweise gibt es kein hierarchisches Management, sondern Mitglieder besitzen „tokenisierte Anteile“ an der Organisation und entscheiden anteilig zu ihrer Investition bzw. ihrem Tokenanteil im Kollektiv. So können Mitglieder beispielsweise darüber abstimmen, ob mit Mitteln der DAO (in der Regel Kryptowerte) ein Projekt finanziert oder Partnerunternehmen für die Herstellung eines Produkts bezahlt werden sollen. In vielen Fällen können Anteilseigner:innen Vorschläge einbringen und zur Abstimmung über deren Umsetzung einladen.

 

Die Organisation und Umsetzung dieser Entscheidungen werden auf einer Blockchain – bisher meist via Ethereum – erfasst und von sogenannten Smart Contracts durchgeführt. Damit sind Programme gemeint, die nach einem „Wenn-Dann-Schema“ funktionieren. Diese Regeln garantieren die Ausführung der zuvor definierten Entscheidungsmuster. Allerdings gibt es auch einen nicht-blockchainbasierten Teil, den sogenannten Off-Chain-Bereich. Zudem sei die Tatsache beachtenswert, „dass die zugrundeliegenden Off-Chain-Logiken oder -Daten i. d. R. nicht einsehbar sind. Dies gilt es insbesondere bei einem Investment in eine DAO zu beachten“, ist im Whitepaper der Working Group DAO des Bundesblocks vermerkt. Beispielsweise können so, laut Müller, Vorabstimmungen bereits in Foren stattfinden und werden damit nicht auf einer Blockchain (also „off-chain“) erfasst.

DAOs in allen Schattierungen

„Im Ergebnis zeigt sich, dass es sehr viele Schattierungen von DAOs gibt, die allesamt zwar auf den Prinzipien Dezentralität und Autonomie aufbauen, in Wirklichkeit aber sehr unterschiedlich sind und sich auch in ihren Zwecken und Zielen stark voneinander unterscheiden“, heißt es weiterhin im Whitepaper.

Die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten ist sicher mit ein Grund für das, laut Expert:innen, „exponentielle Wachstum“ von DAOs. Ob sich allerdings ein Großteil aller Unternehmen in jeglichen Sektoren DAOs zunutze macht, wie Befürworter:innen behaupten, ist für Müller von der AG DAO nicht zwingend erforderlich. „Geht es aber um IoT und Micropayments und deren Orchestrierung, ist diese Organisationsform wohl nicht mehr zu umgehen, weil sie selbstständig Operationen mittels Smart Contracts und Oracles (Anm.: Agent:innen, die Geschehnisse und externe Daten aus der Realwelt verifizieren und diese für Smart Contracts bereitstellen können) im Micropayment-Bereich anstoßen kann“, ist sein Kollege von der AG DAO, Jan-Gero Alexander Hannemann, überzeugt.

 

Auch Dr. Nina-Luisa Siedler, Partnerin sowie Rechtsanwältin bei der Berliner Kanzlei „Möhrle Happ Luther“ und Expertin für Blockchain/DLT-Projekte, nimmt derzeit ein großes Interesse an dieser neuen Form der Zusammenarbeit wahr: „Während DAOs lange als Spielerei für Technologiebegeisterte betrachtet wurden, untersuchen nun auch größere Unternehmen mögliche Einsatzbereiche, meint die Expertin. Insbesondere der Entertainment- und Gaming-Sektor sei prädestiniert für die neue Organisationsform. „Hier geht es nicht notwendigerweise um die Schaffung von echten, digitalen Unternehmensanteilen, sondern unter Umständen schlicht um die Beteiligung von Fans oder bestimmten Kund:innengruppen an einzelnen Entscheidungen oder In-Game-Prozessen.Solche seien häufig auch unter den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen gut realisierbar.

Deutschlands rechtliche Herausforderungen 

Das ist im Bereich der DAOs nicht immer der Fall. Im Gegenteil: Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen sind viele Punkte offen – allen voran die Frage nach der geeigneten Rechtsform: „In welcher Gesellschaftsform erhält die dezentrale Entscheidungsfindung den besten juristischen Rahmen? Welche Gesellschaftstypen gibt es überhaupt? Eng damit verbunden, ist die Frage nach der beschränkten Haftung der Gründer:innen, Gesellschafter:innen und des Managements (so man denn von einem solchen sprechen kann). Und schließlich spielt das Steuerrecht in die Entscheidungsfindung auch immer mit rein“, kennt Siedler die Herausforderungen aus der Praxis.

Nach deutschem Recht kann eine DAO bisher entweder die Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts („GbR“ bzw. BGB-Gesellschaft) oder eines nicht rechtsfähigen Vereins annehmen. Gewählt wird meist Letzteres, denn: „In der Regel möchte kein Team, das ein DAO-Projekt startet, die GbR“, erklärt Siedler, denn „deren Gesellschafter:innen haften unbeschränkt und persönlich, was in einem technologisch noch so jungen Bereich eine eher ungemütliche Vorstellung ist. Die GbR eignet sich eigentlich nur für Fälle, in denen sich die Beteiligten gut kennen und aufeinander absolut verlassen können. Das ist bei einer letztlich auf einen unbegrenzten und anonymen Teilnehmer:innenkreis angelegten DAO nicht der Fall.“ Deshalb käme die GbR im Zusammenhang mit DAOs nur als „unbeabsichtigte Zufallsgesellschaft“ vor, die – mangels der Wahl einer anderen Rechtsform – ungewollt entstehen könne.

Da diese Situation für das wachsende Ökosystem nicht zufriedenstellend ist, werden in der Rechtswissenschaft verschiedene Ansätze diskutiert. Dazu zählen etwa die Genossenschaft oder eine eigene DAO-GmbH. „Die verschiedenen Ansätze versuchen die (technische) Entscheidungsfindung der DAO in eines der bereits bestehenden juristischen Gerüste zu kleiden“, so Sieder, „das ist deswegen leider zwingend, weil es den sogenannten ‚numerus clausus‘ der Gesellschaftsrechtstypen gibt: Man kann sich keine neue Form ausdenken, sondern nur zwischen den gesetzlich vorgesehenen Formen wählen. Der Gesetzgeber könnte aber eine neue, DAO-geeignetere Form aufsetzen.“

Lösungen in aller Welt 

Genau das ist in verschiedenen Ländern der Welt bereits passiert. Das Whitepaper der Working Group DAO des Bundesblocks gibt eine Übersicht über die kreativen Ansätze, mit der rechtlichen Situation der neuen Organisationsform umzugehen:

USA – Limited Liability Companies

1) Wyoming: 

Bei der von Siedler genannten Lösung aus Wyoming wird die Gründung von DAO LLCs (Limited Liability Company) erlaubt, die übrigens auch in Deutschland anerkannt werden: Das Management liegt dabei in den Händen der Teilnehmer:innen oder des Smart Contracts. Die Satzung muss einen Disclaimer enthalten, inwiefern sich Rechte innerhalb dieser Organisationsform wesentlich von den Rechten in herkömmlichen LLCs unterscheiden. Allerdings, so heißt es im Whitepaper, habe sich die DAO LLC in der Praxis nicht bewährt und mehr Probleme als Lösungen geschaffen. So gäbe es Unklarheiten bei der Vertretungsmacht.

2) Blockchain-Based Limited Liability Company (BBLLC) Vermont: Voraussetzung für eine BBLLC sind eine Bereitstellung der DAO auf der Ethereum Blockchain sowie eine Registrierung in Vermont. Durch Verknüpfung mit der BBLLC hat die DAO einen offiziellen Rechtsstatus.

3) Delaware LLC: Entweder kann eine Legal DAO oder LLAC (Limited Liability Autonomous Company) gegründet werden, die auch ohne ein Board of Directors auskommt.

„Der anglo-amerikanischen LLC entspricht in Deutschland die GmbH“, erläutert Nina-Luisa Siedler und wendet gegen die Rechtsform kritisch ein, dass „unmittelbar tokenisierte GmbH-Anteile […] derzeit aufgrund entgegenstehender gesetzlicher Formvorschriften rechtlich nicht darstellbar [sind]. Selbst wenn die Formerfordernisse einer Tokenisierung nicht entgegenstehen würden, entstünde weiterhin ein zentralisiertes Vehikel mit zentralem Management. Meines Erachtens ist bei der Strukturierung einer DAO das Verhältnis zwischen dem technischen Entscheidungs- und ggf. Gewinnbeteiligungsmechanismus und der Verkörperung der DAO als eine irgendwie geartete, rechtlich anerkannte Person entscheidend.“

Doch nicht nur in den USA, auch in Kleinstaaten im Pazifik gibt es begünstigende Versuche für DAOs. Dies geschieht oft gezielt, um Blockchain-Industrien und -Innovationen anzuziehen.

Marshall Islands

Bei der Marshall Islands Non-Profit LLC handelt es sich um eine juristische Person, bei der Statuten und Mitgliedschaft auf einer Blockchain aufgezeichnet werden. Es entsteht keine Haftung der Mitglieder.

Cayman Islands

Mit der Foundation Company entsteht eine eigentümerlose Rechtspersönlichkeit mit beschränkter Haftung. Sie weist eine flexible Governance auf, die weitgehend auf Voting via Token basiert. Außerdem können Beirät:innen ernannt werden. Es muss kein Register der Begünstigten mit deren gesetzlichen Namen geführt werden. Die Begünstigten werden in Personenklassen eingeteilt und zum Beispiel als „Token-Inhaber:innen” oder „Knotenbetreiber:innen” gelistet. Diese Variante ist sowohl für private Vermögensstrukturen als auch für kommerzielle Unternehmen geeignet.

Europa

Die Vorreiterrolle Estlands bei der Digitalisierung des Staates und digitaler Verwaltung, zeigt sich auch beim Thema DAO. Zwar gibt es (noch) keine eigene Rechtsform speziell für dezentralisierte Organisationen. Zur Verwaltung von DAOs können jedoch die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die gemeinnützige Vereinigung hergenommen werden. Von Vorteil ist, dass seit 2020 Aktionär:innen und Gesellschafter:innen aller juristischer Personen sämtliche Beschlüsse digital treffen können. Zudem sind diese berechtigt, Beschlüsse ohne Einberufung von Hauptversammlungen zu treffen. Das Angebot der e-Residency ermöglicht ausländischen Unternehmern außerdem, juristische Personen in Estland online zu gründen und zu betreiben, ohne jemals ins Land gereist zu sein.

Die Plattform Info Beat fasst die Vorteile einer DAO-Gründung in Estland folgendermaßen zusammen:

  • Höhere Inklusivität und Reaktionsfähigkeit für Mitglieder. Jede/r Aktionär:in hat das gleiche Mitspracherecht bei der Führung des Unternehmens.
  • Wenig bis gar kein Raum für menschliches Versagen
  • Rechtliche Vorteile einer regulären GmbH, inklusive Rechtsschutz
  • Mehr Transparenz und Sicherheit

Die Berliner DAO METAWALLS, die sich die Förderung von Straßenkunst in aller Welt zur Aufgabe gemacht hat, hat genau diese Vorteile bereits genutzt und ihre Organisation in Estland gegründet. 

Risiken von Offshore- und USA-Gründungen

Wie die Initiator:innen von METAWALLS, überlegen viele DAOs hierzulande, angesichts dieser Möglichkeiten im Ausland – und fehlender Alternativen in Deutschland – bei der Gründung ihrer Organisationsform auf eine Offshore- oder USA-Lösung zurückzugreifen. Laut Nina-Luisa Siedler ist das ein gefährlicher Ansatz: „Sowohl gesellschaftsrechtlich als auch steuerlich ist es schwer möglich, eine Gesellschaft komplett aus dem Ausland zu führen“, gibt sie zu bedenken. Dies „führt über kurz oder lang regelmäßig zu einer (unbeabsichtigten) Verlagerung des gesellschaftsrechtlichen und/oder steuerlichen Sitzes mit weitreichenden Konsequenzen für die persönliche Haftung der Betroffenen. Leider sprechen die Berater:innen von Offshore-Lösungen darüber nur selten.“ Das Einsetzen eines lokalen Managers, der auf Weisung von eigentlichen Gründer:innen die Geschäfte führt, sei nur eine Scheinlösung. „Insofern sollte sich jede/r Deutsche, die/der sich für eine Offshore- oder USA-Lösung interessiert, ehrlich die Frage stellen, wer das Vehikel von wo aus managen soll und wie Gewinne an diejenigen fließen, die von dem Vehikel profitieren sollen“, rät sie. Erst danach lasse sich die Frage beantworten, ob das ausländische Vehikel wirtschaftlich sinnvoll ist.

Diskussion in Deutschland 

Was für DAOs in Einzelfällen von Vorteil sein mag, könne für den Wirtschaftsstandort Deutschland herbe Folgen haben: Die DAO-AG des Bundesblocks ist „der Ansicht, dass eine eigene Rechtsform für DAOs geschaffen werden müsste, weil Deutschland sonst das DAO-Ökosystem verlieren könnte“, betont Hannemann. „In den USA und einigen anderen Ländern ist dies außerdem bereits eine Realität."

Hierzulande hingegen sei man, laut Nina-Luisa Siedler, weit davon entfernt, eine eigene Rechtsform für DAOs zu etablieren: „Mit dem geplanten Zukunftsfinanzierungsgesetz wird gerade mal über die Einführung einer elektronischen Aktie nachgedacht“, meint sie und fügt hinzu: „Durchaus denkbar sind aber weitere Vereinfachungen, um die Gesellschaftsgründung zu regeln.“ So wie es Teile der USA bereits gezeigt haben.

Einen solchen rechtssicheren Rahmen zu schaffen, gewährleistet nicht nur einen angemessen Verbraucher:innen- und Gläubiger:innenschutz, sind sich Expert:innen einig. Es wäre ein wichtiger nächster Schritt zur Förderung und Etablierung von DAOs und der Blockchain-Industrie in der Bundesrepublik.

 

Quellenangabe:

https://en.wikipedia.org/wiki/The_DAO_(organization) (23.4.2023)

Whitepaper der Working Group DAO des Bundesblocks: https://bundesblock.de/wp-content/uploads/2023/03/DAO-AG-Veroeffentlichung.pdf (23.4.2023)

DAO Analytic Service DeepDAO: https://deepdao.io/organizations (23.4.2023)

https://www.e-resident.gov.ee/blog/posts/daos-in-estonia/ (9.5.2023)

https://estoniadao.org/ (9.5.2023)

https://infobeat.com/why-open-a-dao-company-in-estonia-full-information-for-registration/ (9.5.2023)

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