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10/23

Retail & Web3

Virtuelle Einkaufserlebnisse, Kundenbindungs-Programme oder die Erschließung neue Absätzmärkte - wie könnte der Handel mit Einzug von Blockchain und Metaverse sich in Zukunft gestalten und wie gelingt der Einstieg für Händler:innen?

© greenbutterfly via Shutterstock

Wie sieht die Zukunft des Einzelhandels aus? Gibt es die Innenstadtfilialen, Fußgängerbereiche und Schaufenster – sprich den stationären Handel in absehbarer Zeit noch? Oder übernimmt das Online-Geschäft, das ohnehin während der Corona-Pandemie einen weiteren Aufschwung erlebte, auch die letzten Filialen? In Retrospektive kann festgestellt werden, dass der Online-Handel den stationären Handel innerhalb von nicht einmal 20 Jahren den Rang abgelaufen hat. Das zeigt auch der aktuelle Online-Monitor 2023 des HDE Handelsverbands Deutschland. Zwar hat der Onlinehandel im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 2,5 Prozent erfahren, aber im Vergleich zu den Onlineumsätzen von 2019 – also vor der Corona-Pandemie, beträgt der Zuwachs 42,8 Prozent!  

Mit Metaverse und Web3 steht jetzt die nächste Revolution vor der Tür. Wer sich noch daran erinnert, wie damals viele Händler das Internet abgetan haben, weiß heute: Die nächste Stufe des Internets zu verschlafen, kann enorme Umsatzeinbußen bedeuten. Aber welche Bedeutung können Blockchain und Digitale Wallets überhaupt für den Einzelhandel übernehmen? Und wie können neue Innovationen für den stationären Handel ergänzt werden, ohne diesen zu ersetzen? 

Metaverse und virtuelle Einkaufserlebnisse 

Das Metaverse ist zwar noch nur eine Vision und noch nicht wirklich alltägliche Realität. Auf Plattformen wie Discord und Decentraland gibt jedoch es erste Ansätze und Communities. Unternehmen setzen im Marketing oder für virtuelle Schulungen bereits auf die neue Generation des Internets. Wer hier dabei sein will, für den ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um neue Wege zu explorieren. Für Retailer gibt es in Berlin ein besonderes Angebot: die Retail Garage mit Standort am Potsdamer Platz. Ein Showroom rund um Digitalthemen für den Handel, den das Mittelstand-Digital Zentrum Handel anbietet. Dieses wiederum ist ein gemeinsames Projekt vom Handelsverband Deutschland e.V. (HDE) und dem EHI Retail Institute, um die Digitalisierung der mittelständischen Händler:innen zu unterstützen. Der Showroom zeigt mit regelmäßigen Veranstaltungen, Podcasts und Erlebnisstationen, wie sich das Warenwirtschaftssystem in Zukunft aufstellen kann. So bietet eine Verkaufssäule zum Beispiel den „Blick in den Stall“. Wer Eier oder Fleisch im Supermarkt kauft, kann sich über einen Screen in den Hühnerhof oder Schweinestall von der artgerechten Haltung überzeugen. Über ein intelligentes Warenregal mit auf 3D-Technologie basierender Anbieter-App können Verbraucher:innen Bestellungen mittels QR-Code und 3D Sensoren ihren Einkauf automatisieren. Augmented Reality-Apps verhelfen zu digitalen Produktinformationen. Und ein ServiceNavi für den Großhandel unterstützt B2B-Händler:innen dabei, ihren Online-Shop zu optimieren.  

In der Retail Garage werden aber nicht nur die Anwendungen gezeigt, sondern auch persönliche Beratungen durchgeführt. Diese sollen Anregungen und Inspirationen für interessierte Händler:innen bieten, die sich sogar auf der Fläche einmieten können. So werden Technologien und Best Practices gezeigt, sowie Diskussionen und zukünftige Anwendungen angeregt werden. Und die braucht es: „Handel ist Wandel“ zitiert Marylin Repp, die stellvertretende Geschäftsführerin des Mittelstand-Digital Zentrums eine alte Weisheit. Der Markt sei härter geworden. Neben der verstärkten Abwanderungen der Kund:innen zum Online-Handel in der Corona-Pandemie kommt nun die schwierige Lage mit Inflation und verunsicherten Konsument:innen, sowie ständig neuer Technologien hinzu. Aber das Web3 sei in Zukunft dafür da, sich rund um die Verbraucher:innen aufzustellen.  

Auch die Berliner Freelance Innovation- und UX-Designerin Patricia Reiners, die in ihrem Podcast „Future of UX“ sowie auf Konferenzen regelmäßig zu Innovationen rund um Web3 spricht, sieht in Zukunft nicht die Technologie im Mittelpunkt, sondern den Menschen: „Für mich mit UX Background ist es besonders spannend zu sehen, wie Web3 die Customer Experience teilweise stark positiv verändern kann. Stichwort: Dezentrale Identitäten und Smart Contract, die eine neue Ebene der Personalisierung bieten.“  

Treueprogramme mit NFTs 

Auch wenn Web3 noch nicht in unserem Alltag angekommen ist, gibt es bereits heute viele Ansatzpunkte – auch im Retail-Bereich. Für Verbraucher:innen heißt das: Web3 steht zukünftig dafür, dass wir die Datenhoheit besitzen und das Mitsprachelevel steigt. Bisher werden Daten von den großen Tech-Konzernen monetarisiert ohne Konsument:innen bzw. Daten-Erzeuger:innen zu beteiligen. Hier bietet der Einsatz von Blockchain eine Lösung: Digitale Assets können selbst verwaltet und die Eigentumsverhältnisse von digitalen Gütern, d.h. der Daten-Ownership fälschungssicher nachgewiesen werden. Viele sehen im kommenden Web3 eine neue Art digitaler Wertschöpfung. 

Einzelhändler:innen möchte Marylin Repp die Angst vor der großen Hürde nehmen: „Wir bewegen uns stufenweise dorthin.“ Wie das Web3 sich zum Beispiel für Community Building, Käuferbindung und Warenentwicklung sowie Absatz auswirken kann, zeige zum Beispiel das Kölner Partyversand Unternehmern Deiters mit über 31 stationären Filialen und 700 Mitarbeiter:innen. Eigentlich ein Traditionsgeschäft, hat der Kostümhändler erfolgreich vorgemacht, wie man rund um NFTs (Non-Fungible-Tokens) ein erfolgreiches Kundenbindungsprogramm etablieren kann. Mit dem Einsatz von NFTs wurden Kund:innen Teil einer Verkleidungscommunity – dem Dressed Ape Costume Club, der über die Plattform Discord in regelmäßigem Austausch untereinander sowie mit dem Unternehmen steht und so aktives Feedback zum Sortiment gibt. Die Deiters-NFT-Kollektion besteht aus 2222 illustrierten Affenbildern mit unterschiedlichen Rankings. Die daran geknüpften Real-Life-Benefits orientieren sich an der Seltenheit der NFTs. Wer sie hält, bekommt unterschiedlich hohe Rabatte für den Online-Shop, Goodies, Event-Einladungen oder Überraschungs-Verkleidungsboxen.  

Mitglieder bekommen regelmäßig Pakete mit Verkleidungs-Accessoires nach Hause geliefert, Rabatte, Verlosungsmöglichkeiten und Events geboten. Das Ergebnis zeigt: Innerhalb der Community gibt es eine hohe conversion rate und enge Markenbindung. Der Input aus der Community hilft sogar, das Sortiment zu planen. In einer zunehmend digitalisierten Wertschöpfungskette wirkt sich das Feedback der Konsument:innen zunehmend direkt auf die Produktion aus. Feedback zum Sortiment und zu anderen Fragen sind für stationäre Händler:innen extrem schwer einzuholen. Es sei Gold wert, so Repp. 

Direkte Monetarisierung & Sekundärmärkte  

Patricia Reiners sieht ebenfalls mehrere Schnittstellen zu Web3, die Händler:innen bereits heute besetzen können. „Sammlerstücke und Merchandising sind wahrscheinlich der einfachste Weg, um Kunden zu binden. Sportfranchises und Marken haben bereits NFTs in Form von digitaler Kunst, Handelskarten oder Sammlerstücken eingeführt. NBA Top Shot und Nike sind prominente Beispiele. Nike hat beispielsweise über 180 Millionen Dollar durch ihre Web3 NFT-Initiativen generiert.“ Statt des traditionellen Punktesystems wird hier eine weitere Zielgruppe adressiert, die jung und digital affin ist, so Patricia Reiners. Weitere Vorteile seien die Transparenz in der Lieferkette, die dank Blockchain-Technologie zurückverfolgt werden kann.  

Viele nutzen auch bereits digitale Zwillinge als NFTs, die mit einem physischen Ort gekoppelt sind. „Dies ist besonders nützlich für Luxusgüter oder Produkte mit aktiven Sekundärmärkten, da es die Herkunft und Eigentümerschaft klar verfolgbar macht“, sagt Reiners. „Die Eigentümerschaft des physischen Objekts basiert auf dem Besitz des NFTs.“ 

Diese Anwendungsbeispiele sind nur die Spitze des Eisbergs, und es ist wahrscheinlich, dass sich in den kommenden Jahren noch innovativere Überschneidungen zwischen Retail und Web3 bilden werden.  

Wie im Einzelhandel starten? 

Für alle gilt: Die Affinität und das Interesse an Web3 und den damit verbunden Möglichkeiten sollte vorhanden sein. Wer sich damit nicht auseinandersetzen will, der muss Freude an neuen Herausforderungen haben. Digitales Mindset ist hierbei eine absolute Voraussetzung. Hinzu kommen flachere Hierarchien und die Möglichkeiten, Ideen zuzulassen und einfach mal Testpiloten zu starten – Fehlschläge inbegriffen. Wer eine Testkultur etabliert und anfängt, verschiedene Möglichkeiten zu erproben, der/die wird sich gut für die kommende Web-Revolution aufstellen können. Marilyn Repp plädiert zum Beispiel dafür, im Monatsrhythmus neue Technologien anzuwenden. Denn wer digital denkt, denkt auch in Richtung Kundin. Patricia Reiners teilt diese Ansicht:  

„Der Einstieg in die Web3-Welt ist eine spannende Reise, die jedoch sorgfältige Planung und strategisches Denken erfordert. Wichtig ist, dass das Team ein solides Verständnis für Blockchain Technologie und Web3-Konzepte herrschen. Eine gründliche Marktforschung kann außerdem helfen, die Aktivitäten von Wettbewerben und Branchentrends zu verstehen.“ 

Weiterführende Quellen 

  • Decentraland (MANA): Virtual-Reality-Plattform auf Basis der Ethereum-Blockchain. https://decentraland.org/ 
  • Discord: Kostenlose Webbrowser und App-basierte Plattform, die Sprach-, Video- und Text-Chat für User Communities anbietet. https://discord.com/  
  • Fireblocks (2023): Industry Insights. What can Web3 offer retail, luxury goods, and sports brands? Blogbeitrag 
  • HDE Handelsverband Deutschland, IFH Köln: Online Monitor Bericht 2023. Online-Report 
  • Pilgrim, Claudia (2022): How web3 is transforming the future of brands and retail LinkedIn Artikel 
  • Retail Garage: Showroom für zukunftsweisende, digitale Handelstechnologien in Berlin. https://www.retailgarage.de 

Stories & Use Cases

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