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Decentralized Science (DeSci)

Blockchain-Technologien für die digitale Revolution der Wissenschaft.

© TopTika via Shutterstock

Unbeschränkter und kostenloser Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, freie Lehr- und Bildungsmaterialien, transparent einsehbare Forschungsdaten, offene Peer-Review-Verfahren: das sind den Prinzipen von Open Science. Sie sind gleichzeitig ein Versprechen, neue Erkenntnisse für die Gesellschaft und Wirtschaft zu gewinnen. Möglich wurde Open Science erst durch die Web 2.0-Kultur, bei der Nutzer:innen selbst Inhalte erstellen und teilen konnten. Mit der Entwicklung des Web3 werden sich noch größere Versprechen erhofft: Das Internet wird demokratischer und dezentraler. Statt die „Datensilos“ der großen Konzerne und Plattformen zu bedienen, können Nutzer:innen mittels Blockchain-Technologie selbst über ihre Daten bestimmen und diese dezentral speichern. Das verändert nicht nur den Umgang mit dem Netz, sondern wird wahrscheinlich ganze Wirtschaftsbereiche beeinflussen. Wie? Das zeigt bereits der Finanzsektor, in dem mit Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum eigene Transaktionssysteme entstanden sind. Neben dem Finanzsektor, der Gaming Branche oder große Marken und Unternehmen, weckt das Web3 auch immer mehr Interesse im Bereich Wissenschaft und Forschung.   

Eine digitale Revolution für die Forschung 

Open Science entwickelt sich weiter zu DeSci (Decentralized Science). Auch hier ist die Idee dahinter: Wissenschaftler:innen sollen ihre Forschungsergebnisse offen und transparent teilen können – ohne Angst vor Zensur, Fälschung oder Urheber -Verlusten. Um dies zu ermöglichen, kommt die Blockchain-Technologie zum Einsatz, mit der Forschungsdaten fälschungssicher und dezentral hinterlegt und die Urheberschaft eindeutig zurück verfolgt werden kann.  

Wie DeSci bereits funktioniert und warum es die Wissenschaft revolutionieren kann, erläutert Bence Lukács, der für das Institut für Angewandte Blockchain (IABC) in Berlin tätig und Co-Leiter der AG Wissenschaft im Blockchain Bundesverband e.V. („Bundesblock“) ist. Er ist außerdem engagiert bei der selfdriven Foundation, die Frameworks für self-driven Lernen für Kinder und Jugendliche erforscht und aufbaut. Bei eLearningDAO entwickelt er eine dezentrale Lernplattform mit und dezentralisiert den Prozess der Erstellung von Bildungsmaterial. 

„Im Open Science Bereich legt man Daten offen, DeSci baut darauf auf, dass die Daten für immer abgespeichert, verfügbar und nachvollziehbar sind. Das eröffnet  Zugang zu neuen Erkenntnissen und Kollaborationsmöglichkeiten. Momentan sind hier die Naturwissenschaften stark vertreten, da sie viel mit Forschungsergebnissen und Daten arbeiten. Wir setzen uns aber auch dafür ein, dass andere Fachbereiche wie etwa Sozialwissenschaften mehr Berührung mit DeSci haben.“  

Lukács betont die Interdisziplinarität. Mit der Forschung im IABC und der Arbeit in der AG Wissenschaft im Bundesblock nimmt er die damit verbundenen soziologische Fragestellungen und die Möglichkeiten einer dezentralen Gesellschaft in den Fokus. Eine wichtige Frage lautet hier zum Beispiel: Wie verändert sich die Zusammenarbeit in Zukunft?  

„Klar, man darf die wissenschaftliche und technische Perspektive nicht aus dem Blick lassen, aber wir möchten nicht die gleichen Fehler machen wie bei der Entwicklung des Internets vor 20 Jahre. Wo es keine Frage nach Identitäten gab, Sicherheit überhaupt kein Thema war und nicht berücksichtig wurde, dass Menschen hier anders kommunizieren und zusammenarbeiten.“  

Dezentrale Autonomie mit Identität schaffen 

Bei all der Technik soll der Mensch nicht aus dem Blick geraten. Lukács spricht von digitalem Empowerment im Umgang mit der Blockchain-Technologie: Mit DeSci gehe es darum, Menschen zu empowern. Software sei das Mittel zum Zweck.  

So könnte ein dezentral verteiltes Forschungssystem entstehen, in dem gemeinsam an wissenschaftlichen Fragen gearbeitet sowie die Finanzierung im Web3 gesammelt wird und auch Publikationen nicht mehr von der Reputation zahlungsintensiver Verlage abhängig sind. Es wird tokenisiertes Web-Ökosystem geschaffen, das Wissenschaftler:innen ermutigt, ihre Forschungsergebnisse offen zu teilen und Anerkennung für ihre Arbeit zu erhalten. Fachleuten, die sich von außen einbringen wollen, wird die Beteiligung vereinfacht. Wer ein Forschungsprojekt plant, kann bisherige Daten und Fragestellungen offenlegen und zur Mitarbeit einladen. Auch das Funding kann außerhalb etablierter Strukturen erfolgen. 

Koordiniert wird das Ganze über dezentrale Netzwerke, bestehend aus einzelnen Personen oder organisiert innerhalb von DAOs (Decentralized Autonomous Organizations). DeSci bewegt sich aber nicht nur außerhalb der klassischen Strukturen Wissenschaftsbetriebes. Denn es gibt auch DAOs und Forschungsprojekte, die direkt aus der Forschungscommunity kommen. Einer der bekanntesten ist Bloxberg. Hier beteiligen sich namhafte Institute wie das Münchner Max-Planck-Institut, die Ludwig-Maximilian-Universität in München (LMU) und die ETH Zürich. Mit Bloxberg wurde eine eigene Blockchain-Infrastruktur aufgesetzt, die es erlaubt, wissenschaftliche Ergebnisse und Daten dezentral zu verwalten, Peer-Reviews zu organisieren und das geistige Eigentum zu schützen.   

Im Idealfall werden über DAOs Projekte gefördert, die gesellschaftlich relevant sind, aber eventuell bisher nicht Aufmerksamkeit und Forschungsmittel generieren konnten. Lukács führt als Beispiel das HairDAO auf – ein Forschungskollektiv gegen Haarausfall, finanziert und organisiert auf Community-Basis. Hier versammeln sich Wissenschaftler:innen, Ingenieur:innen und Content Creators, die sich einer Lösung gegen Haarausfall verschrieben haben. Über HairDAO generieren sie Mittel, teilen Ergebnisse und werben für ihr Vorhaben. Wer sich mit DeSci auseinandersetzt, wird einige solcher Nischenthemen, sogenannter Primär-DAOs, finden, etwa der Longevity DAO, die sich mit lebensverlängernder Wissenschaft auseinandersetzt, oder die Red DAO, die Strukturen rund um ein digitales Mode-Ökosystem ausbauen möchte. Im Gegensatz zur traditionellen Forschungsförderung (zum Beispiel über staatliche Forschungsgelder, Stiftungen oder Unternehmen) wird die Förderung innerhalb einer DAO selbst generiert. Das mache die Förderung nicht nur dezentraler, sondern auch transparenter „Wir wissen, wie ein Projekt finanziert wird, von wem und wieso“, so Lukács. Statt sich für Fördergelder aus öffentlichen Mitteln, von Forschungsinstitutionen oder Unternehmen zu bewerben, finanziert die Community ähnlich wie beim Crowdfunding die Forschung. Bürokratische Hürden entfallen ebenso wie strenge Regularien bei den Forschungsvorgehen. Über die Forschungsergebnisse, zum Beispiel etwaige Patente auf ein entwickeltes Medikament, verfügt ebenfalls die Community – indem sie entsprechende Tokens der DAO besitzt. 

Eine der größten, etablierten DAOs weltweit ist VitaDAO. Hier wird Forschung unterstützt und finanziert, die sich auf altersbedingte Krankheiten und die Verlängerung der Lebensspanne konzentriert. Mittlerweile sind dort 10.000 Forscher:innen, Patient:innen, Förder:innen und Interessenten eingebunden. Über VitaDAO wurden bereits mehr als 19 Projekte und vier Millionen Dollar Fördergelder umgesetzt. Vertreter:innen waren auch bei der DeSci.Berlin zu Gast. Diese Konferenz, die die Blockchain-Community im Science-Bereich adressiert und versammelt, fand Anfang September zum zweiten Mal in Berlin in Assoziation mit der Berlin Blockchain Week 2023 statt. 

Empowerment für die Forschung der Zukunft 

Welche Rolle wird DeSci im Verhältnis zum bisherigen Wissenschaftssystem bzw. zum System der Forschungsförderung spielen? Wie könnten sich die Ansätze gegenseitig ergänzen? Auch diese Fragen wurden auf der DeSci.Berlin beleuchtet. 

Der Berliner System-Administrator Vincent Weißer ist Teil von Molecule. Das dezentrale Biotech-Protokoll baut einen Web3-Marktplatz für forschungsbezogenes geistiges Eigentum auf. Die Plattform und das skalierbare Framework für Biotech-DAOs verbinden Akademiker:innen und Biotech-Unternehmen. In seinem Vortrag zeigt er auf, wie Stress intensiv, ungenügend finanziell vergolten und nicht unbedingt mit Anspruch auf Urheberschaft die Arbeit junger Wissenschaftler:innen oft ist. Weniger als zwei Prozent NIH-Funding (NIH = National Institute of Health) gehe an unter 35-Jährige. Die in den USA für biomedizinische und öffentliche Gesundheitsforschung zuständige Regierungsbehörde gilt als größter Fördermittelgeber der Welt. Der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und somit zu aktuellen Forschungsergebnissen ist durch Paywalls erschwert. Probleme in der Finanzierung, Wettbewerb und Kommunikation entstünden durch diese Zentralisation und können durch Dezentralisation gelöst werden, so Weißer bei der DeSci.Berlin. DeSci sei ein Spielplatz, auf dem ausprobiert werden kann, ohne bereits eine perfekte Lösung oder Strukturen bereitzustellen. Momentan bestehe die Wissenschaftswelt aus „physical first und physical native“, bald jedoch „internet first and internet native“.  Der Übergang von der alten zur neuen Wissenschaftswelt werde nicht für alle fließend verlaufen. 

Laura Miniquini, Gründerin von AthenaDAO, die sich der weiblichen Gesundheit verschrieben haben, macht bei ihrem Vortrag deutlich: Während Frauen offensichtlich die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, ist die Frauen-Gesundheitsforschung massiv unterfinanziert. Das sei nicht nur aus ökonomischen Gründen ein vernachlässigter Wirtschaftsbereich, sondern lässt sehr viel Potenzial unerschlossen. Auch hier zeigt das DAO-Ökosystem seine Wirkung. Wer sich in Forschungsfeldern wie Menopause oder Endometriose betätigt, muss nicht Wissenschaftler:in oder Investor:in sein, sondern kann Motivation oder andere Kompetenzen einbringen. Die Chance, dass auch junge Forscher:innen hier in ihren Vorhaben unterstützt werden, ist wesentlich höher.  

Empowerment statt Machtlosigkeit! Das sieht auch Bence Lukács als eine der größten Errungenschaften der DeSci-Strukturen. Der Wissenschaft öffnet sich ein virtueller Raum, innerhalb dessen wissenschaftliche Erkenntnisse zu öffentlichen Gütern (auch sogenannten Commons) werden und aus der Gesellschaft heraus finanziert und organisiert werden können. Das geistige Eigentum bleibt gewahrt und wissenschaftliche Erkenntnisse werden dennoch für kollaboratives Arbeiten geöffnet. Könnte DeSci eine globale Alternative zum derzeitigen wissenschaftlichen System darstellen, die fairer und gerechter ist? Das wird die Zukunft zeigen.  

Quellen:

  • Blockchain Bundesverband e.V. (2023): Dezentrale und offene Wissenschaft. Arbeitsdefinition OpenScience & #DeSci. Online-Artikel 
  • DeSci.Berlin (2023): DeSci.Berlin 2023 I Live Stream (Friday, 8th September), YouTube 
  • Hochschule Mittweida (2023): Konferenzband zum Scientific Track der Blockchain Autumn School 2023, Scientific Reports 2023, Nr. 2, Online-Publikation
  • Weidener, Lukas (2023): Nach DeFi kommt DeSci. So revolutioniert Blockchain-Technologie die Wissenschaft. BTC Echo 
  • Rawat, Sachin (2022): Blockchain experts are funding research that Big Pharma won't. Online-Artikel 

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